Meine Freundin Mellie

Am Sonntag, den 10. Mai 2009 – Muttertag – durfte sie dann endlich gehen. Noch genau drei Wochen und sie wäre, dank der vortrefflichen Versorgung ihres Körpers, 101 Jahre alt geworden. Mellie und ich trafen uns das erste Mal vor ungefähr 10 Jahren und wurden Freundinnen. Einst fragte sie mich, ob ich einmal etwas über sie schreiben würde und das möchte ich hiermit tun.

Nachdem ich Mellie in einem Traum kennengelernt hatte, suchte ich sie in ihrem Wohnort Bussum (NL) auf.

Sie verstand direkt die Bedeutung unseres Zusammentreffens, das auf solch eine Art zustande gebracht wurde und beruhigte damit meine innerliche Unruhe und Unsicherheit.

Mellie und ihr Haus waren alt und alles was ich dort erblickte, hatte eine Geschichte. Ich sehe heute noch die Teekanne auf ihrem Tisch, die schon so oft zusammen geklebt war, daß ich mir nur schwer vorstellen konnte, daß sie auch tatsächlich dicht war. Sie lachte nur und erklärte mir, es würden sich ganz liebe Menschen darum kümmern.

In ihrem Haus war eine besondere Wärme und man konnte sich dort ein eigenes Plätzchen machen, wo es erlaubt war, ja sogar gewünscht wurde, die Zeit zu verlassen. Überall lagen hohe Stapel Papier, Bücher, Briefe und Notizzettel. Ich dachte oft, daß ich mich in einer Art Werkstatt oder Labor eines großen Gedankenschlosses befände. Und das war meine Welt. Ein Mal, manchmal auch zwei Mal pro Woche besuchte ich sie.

Wir machten Spaziergänge, gingen zum Supermarkt einkaufen oder saßen bei ihr im Haus oder Garten, mit herrlichem Kräutertee. Zum Supermarkt war es übrigens ein ganz schönes Stück zu Fuß und für Mellie war das ihr tägliches Konditionstraining. Der Körper sollte und mußte bewegt werden, anders würde er faul werden, sagte sie.

Ehrlich gesagt war ich manchmal erleichtert, auf dem Weg ein Bänkchen zu finden wo wir uns kurz ausruhen konnten. Sie dachte das Selbe, entschuldigte sich aber beim Hinsetzen für ihren schon etwas älter werdenden Körper (von 92 Jahren). Lachend sagte ich (damals 36 Jahren), daß sie einen perfekten Körper habe und mit der Pause doch nur mir einen Gefallen tun wolle.

Am Valentinstag 2003 saßen wir wieder auf so einem Bänkchen in Bussum. Es war an diesem Tag außerordentlich warm und die Sonne schien uns ins Gesicht. Wir genossen diese ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres und verließen für eine Zeit lang gemeinsam die Erde und machten unsere erste gemeinsame Astralreise. Als wir zurück kehrten, sahen wir uns an und lachten. In dem Moment wussten wir beide, daß es absolut nicht das erste Mal gewesen war, daß wir gemeinsam an etwas Größerem arbeiteten.

Mellie war vorsichtig mit Freundschaften schließen. Sie tastete sich behutsam und mit viel Respekt und einer eher abwartenden Haltung zum Anderen hin. Wenn sie dabei ein gutes Gefühl hatte, öffnete sich sich und wollte dann auch mehr von ihrem Gegenüber und seinen Erfahrungen wissen.

Sie konnte sich in mir erkennen und bewunderte meine Kraft und mein Temperament und ich bewunderte ihre Ruhe und ihre friedliche Ausstrahlung. Während der Zeit, die wir hier zusammen verbracht haben, führten wir zahllose Gespräche und machten viele Reisen, wodurch unsere Erkenntnisse außerordentlich bereichert wurden.

Sie schrieb darüber meistens auch etwas in ihrer Zeitschrift Kaarsvlam (Kerzenflamme). Und eines Tages schlug sie vor, daß auch ich für ihre Zeitschrift schreiben sollte. So ließ sie mich immer ein Stückchen näher zu sich und ihrer Arbeit herankommen, was mein Selbstvertrauen außerordentlich stärkte und wofür ich ihr sehr dankbar bin.

Manchmal nahm ich sie übers Wochenende mit zu uns nach Hause. Wir mussten dann nie einen Wecker stellen, da sie sich morgens mit fröhlichem Singen bemerkbar machte und sie hatte eine ausgezeichnete Stimme. Ich muss über diese ganz besondere Art, den Tag und die Mitmenschen zu begrüßen, heute noch schmunzeln.

Während dieser Zeit sagte sie mir, daß die Erdenmutter sie los gelassen habe und obwohl sie überhaupt nicht bereit war zu gehen, fühlte sie, daß das Ende ihrer Reise nahte.

Im Jahre 2005 haben wir noch gemeinsam Vorlesungen in Tiel gehalten, aber das wurde zu viel. Es kostete sie viel Energie, in den innerlichen Strom zu kommen und darin zu bleiben.

Als Mellie sich das erste Mal die Hüfte brach, blieb die Angst in ihren Kochen stecken. Danach richtete sie ihre gesamte Aufmerksamkeit nur noch auf ihr irdisches Dasein.

Ich bin froh, daß sie bei der Neueröffnung ihres geliebten Landhauses Oasis am 4. Juni 2006 dabei sein konnte. Es war jedoch deutlich zu erkennen, daß ihre Aufgabe, anderen Nahrung zu geben, vollbracht war. Sie hatte anscheinend noch eine andere Aufgabe zu erledigen und pflichtbewusst wie sie nun einmal war, tat sie das auch.

Nach der zweiten Hüftoperation, von der sie sich ebenfalls sehr schnell erholte, war es dann auch für sie klar, daß sie nicht mehr alleine wohnen konnte. Das Leendert Meeshuis in Bilthoven wurde ihr Wartezimmer, so nannten wir lachend das Altenheim. Mit dieser Wahl, die der Himmel für sie nun einmal getroffen hatte, war sie ganz und gar nicht zufrieden, gab sich dann aber vertrauensvoll hin.

Nichts tun zu können und sich von anderen ‘bedienen’ zu lassen, wurde eine besonders schwere Lektion für sie. Anfangs hatten wir noch unsere Verbindung in der wir wie gewohnt austauschen konnten. Und ich massierte immer noch ihren Rücken, was ich jahrelang getan hatte. Doch dies wurde immer weniger und ihr Gedächtnis wurde immer schlechter.

Mellie war dann mehr in anderen Gebieten, wo sie anscheinend noch etwas bereinigen oder lernen mußte. Zwar verstand ich es, doch es war mir schwer, sie so zu sehen. Innerlich winkten wir uns nur noch und das letzte Mal als wir uns sahen, ließ ich sie auch wissen, dass dies das letzte Mal war.

Als ich am Sonntag, dem 10. Mai 2009 zu ihr fuhr, sah ich einen großen, breiten Lichtkranz um das Altenheim herum. Ich durfte gerade noch dazu kommen und legte einen kleinen Strauß getrocknetes Lavendel unter ihr Bette und wünschte ihr eine gute Reise. Sie hatte mittlerweile mit atmen aufgehört und wurde festlich begrüßt. Und weg war sie … unglaublich, wie schnell das ging; sie hatte es geschafft, alles war fertig und sie war frei.

In all den Jahren habe ich mich innerlich oft von ihr verabschiedet. Jeden Winter verlor sie ein Stück ihrer Kraft und sobald es wieder Frühling wurde war sie froh, daß sie das übrig gebliebene Stück entfalten durfte. Aber dieser Abschied ist mir besonders schwer gefallen.

Es war ihr Wunsch, ihr Verscheiden als ein Befreiungsfest zu feiern. Sie freute sich wirklich sehr auf die neue Reise und wenn wir zuletzt noch Gespräche führten, dann ging es immer nur um das eine Thema: wann sie endlich gehen konnte, wann sie aus dem Wartezimmer in den Zug einsteigen dürfe, wann sie endlich befreit werden würde, erlöst aus dem Stoff, aus der Materie. Aber darauf hatte ich keine Antwort.

Mellie war eine besondere Frau, in jegliche Hinsicht. Ich habe viel von ihr lernen können und wir haben viel miteinander gelacht, auch geweint. Sie besaß unwahrscheinlich viel Kraft an der ich reifen durfte und wofür ich dankbar bin. Ihre Aufgabe, Wissen zu übertragen, hat sie sicherlich erfüllt.

Sie hat viele Bücher geschrieben, unter anderem über Astrologie, ein Kräuterlexikon (über 1 Million verkauft), Steine, Märchen, den Lebensrhythmus, das Christentum und die Liebe. Sie hat mehr als 60 Jahrgänge ihrer Zeitschrift Kaarsvlam gefüllt, die früher monatlich erschien. Sie hat so viel geschrieben, wovon noch nicht alles veröffentlicht ist.

Sie war sehr inspirierend, nahm ihre Aufgabe ernst und setzte sich dafür voll ein, wobei sie nur ihrer Intuition folgte. Sie hat uns allen eine vorbildliche Rolle vorgelebt, nämlich daß das Lebensalter nicht einschränkend sein muss und daß es sicherlich nichts über einen Menschen aussagt; wirklich aussagekräftig ist lediglich das, was dieser getan hat.

Als sie ihr Landhaus Oasis kaufte war sie über 70 Jahre und hielt dort Wochenendkonferenzen ab.

Mit 96 Jahren ärgerte sie sich sehr über die alten Leute im Reha-Zentrum (die sicherlich 20 Jahre jünger waren), weil sie den ganzen Tag nur Fernseher sahen und sich kaum noch bewegten, während sie täglich immer ihre Spaziergänge machte.

Sie wohnt in meinem Herzen und wir bleiben verbunden.

Was für die Raupe das Ende der Welt ist, nennt der Meister einen Schmetterling. (R. Bach)

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