Besser kann kein Volk vererben,
als der eigenen Väter Brauch.
Wenn des Volkes Bräuche sterben,
stirbt des Volkes Seele auch!
Der Dichter ist leider unbekannt, macht jedoch mit seinem Spruch sehr treffend auf die Volksseele aufmerksam. Was für ein faszinierendes Wort: die Volksseele. Wir alle kennen zwar eine menschliche Seele, aber von einer Volksseele wird kaum gesprochen.
Die menschliche Seele fließt im Körper, wodurch wir unsere irdischen Erfahrungen machen. Zwar können wir die Seele nicht sehen, aber fühlen können wir sie sehr wohl. Wenn ein Körper seelenlos ist, spüren wir das sofort, er ist leer und strahlt kein Leben mehr aus.
Bräuche und Dialekt
Unsere Seele braucht für ihre Entwicklung Liebe und Zuneigung, sie braucht menschlichen Kontakt und Berührung. Ein Baby ohne Zuneigung und Ansprache stirbt, die Seele verhungert und geht wieder zurück. Die Volksseele, die aus vielen einzelnen menschlichen Seelen besteht, braucht ebenfalls Liebe, Bräuche, Traditionen und das gesprochene Wort, ihren Dialekt, um leben zu können.
Die Volksseele können wir ebenfalls nicht sehen, spüren sie aber ganz deutlich, wenn in einer Gemeinschaft die Bräuche gelebt werden. Wir fühlen uns dann von ihr getragen und behütet. Haben wir Schwierigkeiten, sie im eigenen Volk zu spüren, können wir sie möglicherweise im Urlaub erfahren, wenn wir uns von den Touristenplätzen entfernen und in die Atmosphäre der Region eintauchen. Wir werden dann entweder von ihr begrüßt und fühlen uns in dem Land wohl oder aber wir werden nicht anerkannt und können uns weder mit dem Land noch den Leuten anfreunden.
Der zugewiesene Platz
Zum besseren Verständnis der Volksseele, vergleichen wir sie einmal mit dem Körper. Jedes einzelne Organ wird dabei von einer Volksseele repräsentiert. Und jeder einzelne Mensch repräsentiert eine Zelle des jeweiligen Organs, in das er hineingeboren wurde. Das bedeutet, dass jeder von uns einen zugewiesenen Platz in seiner Volksseele hat und ihn verinnerlichen sollte. Dort haben wir eine Aufgabe zu erfüllen, damit das Organ und letztendlich der gesamte Menschen-Organismus gesund bleibt und seine Arbeit im Garten Gottes erfüllt.
Eine Volksseele hat nichts mit politischen Linien auf einer Landkarte oder der Nationalität in einem Reisepass zu tun! Sie definiert sich lediglich durch ihre Bräuche und Traditionen, die in einem bestimmten Gebiet gelten. Ihre Form ist fließend und wird von einer natürlichen geographischen Begrenzung angegeben, beispielsweise einem Fluss, einem Berg, einem Wald usw. In diesem Gebiet gelten bestimmte Bräuche, die sich meistens nach den Rhythmen der Natur richten und entsprechend gefeiert werden.
Bräuche können darin bestehen, dass wir wie gesagt die Erdenfeste feiern, unseren Dialekt sprechen, eine bestimmte Tracht anziehen, gemeinsam Lieder singen, an bestimmten Tagen zu Ehren oder zum Gedenken an jemanden oder etwas zusammenkommen, Kerzen anzünden und einen Text vorlesen oder uns Geschichten von unseren Ahnen erzählen. Es kann so ziemlich alles sein, was in einer bestimmten Region weitergegeben wurde und gemeinsam gelebt wird.
Schutz der Ahnen
Sich seiner Volksseele bewusst zu sein und an den Bräuchen der Väter festzuhalten ist unentbehrlich, denn sie unterstreichen die natürliche Ordnung. Wir erfahren einen starken Zusammenhalt untereinander, der uns bestärkt.
Durch das Ausleben unserer Bräuche und Traditionen stehen wir in Verbindung mit unseren Ahnen. Wir nehmen ihre Erfahrungen und Kenntnisse in uns auf, wiegen uns in ihrem Schutz in Sicherheit und gliedern uns auf der Erde richtig ein.
Und das ist sehr wichtig, denn die Volksseele ist das Feld, in dem unsere Seele auf der Erde eingebettet liegt, ähnlich unserem Körper, der in unsere Familie eingebettet wurde.
Sind wir auf unsere Bräuche und deren Bedeutung abgestimmt und verstehen wir warum wir etwas feiern, dann erhalten wir eine große Energieladung, sie gleicht kraftvollen Flügeln, die uns hoch in die Lüfte tragen und uns tiefere Zusammenhänge der Erde erkennen lassen. Machen wir aber einfach nur so mit, weil es sich eben gehört und man es schon immer so gemacht hat, fällt die energetische Nahrung nur spärlich aus.
Jeder einzelne Mensch ist ein fester Bestandteil seiner Volksseele und damit eine wichtige Zelle eines Organs, das eine bestimmte Funktion hat. Alle Organe sind wichtig, alle Volksseelen sind wichtig, keine ist besser oder schlechter. Es geht nicht darum untereinander zu konkurrieren, das ist Blödsinn und wäre mit einem Krieg, beispielsweise zwischen unseren Lugen und der Leber gleichzusetzen.
Verankerung mit Mutter Erde
Wenn wir die Volksseele durch ein falsch verstandenes globales Denken zerstören, d.h. unsere Bräuche und Traditionen vergessen, stirbt unsere Volksseele in die wir eingebettet sind. Wir nehmen ihr dann den Nährboden und verlieren die irdische Verankerung mit Mutter Erde. Unsere Volksseele darf nicht sterben, sonst verliert der Menschen-Organismus wichtige Organe. Wir müssen zurück zu unserer Wurzel, bevor sie von einer kleinen Maus durchgenagt wird.
Als Zelle können und sollen uns wir uns nicht von unserem Organ trennen, um Teil eines anderen Organs zu werden, denn dort können wir uns aufgrund unserer Beschaffenheit nicht einreihen und werden unweigerlich abgestoßen. Die Lösung liegt nicht im Bekämpfen oder Auflösen untereinander, sondern in der Zusammenarbeit. Wir müssen uns jetzt gemeinsam für das menschliches Weiterleben auf der Erde einsetzen, uns gegenseitig inspirieren und stimulieren; die Bräuche unserer Ahnen wieder beleben.
Was berührt dein Herz?
Wenn wir im Moment keinen echten Bezug zu unserer Volksseele spüren, hilft es sich mit seinen Eltern oder Großeltern zu beschäftigen. Uns nach ihrem Leben, nach ihren Festen und Traditionen zu erkundigen.
Möglicherweise haben sie ihre Memoiren oder eine Biographie geschrieben. Was haben sie alles mitgemacht? Welche Lieder haben sie gesungen? Was berührt davon unser Herz und will ausgetragen werden?
Das alles stärkt unsere Volksseele!
Ein Brauch, der mich persönlich schon immer sehr beeindruckt hat ist der niederländische Sinterklaas, der am 5. Dezember als Familienfest gefeiert wird. Das Alte geht und macht Platz für das Neue, ganz in Übereinstimmung mit der Jahreszeit.
Gefeiert wird es, durch einem Familienmitglied eine Surprise zu machen, wie es dort heißt. Das ist ein kleines Geschenk in einer Überraschungsverpackung (die man selber bastelt) das mit einem selbstgemachten Gedicht über diese Person, überreicht wird. Die Geschenke werden aus den beeindruckenden Verpackungen geholt, man isst gemeinsam und unterstreicht die persönlichen Erlebnisse des Jahres durch die Gedichte.
Bräuche und Traditionen rund ums Jahr, ihre Herkunft und Bedeutung hat Mellie Uyldert in ihrem Buch ‚Het Zonnejaar‘ hervorragend erklärt – leider nur auf Niederländisch erhältlich.